Internationale Namensgebung

Internationale Bezeichnungen und Absprachen

 

Von Dirk Van den Abeele                                                          Übersetzt von P. Schrömbges (18425)

                                                                                                                                    und P. Frenger (7998)

 MUTAVI, Research & Advice Group

Ornitho-Genetics VZW

 

 

Einigen unter uns ist sicherlich aufgefallen, dass viele ornithologische Vereinigungen in den letzten Jahren dazu übergegangen sind, die bestehenden Mutationen nach der internationalen Namensgebung neu zu benennen. Die internationale Namensgebung ist spontan aus der Notwendigkeit heraus entstanden um korrekte Informationen international auszutauschen zu können.

 

Im Jahr 1998 traf sich der BVA (zum ersten Mal in der Geschichte) mit anderen übergeordneten Organisationen mit dem Ziel, in Belgien und in den Niederlanden eine einheitliche Namensgebung für Agaporniden zu schaffen. Ob man es glauben mag oder nicht, obwohl in beiden Ländern die gleiche Sprache gesprochen wird, waren für die gleiche Mutation bei Agaporniden sechs bis sieben verschiedene Namen gebräuchlich. Dass dies für einen Anfänger in der Agapornidenzucht sehr verwirrend ist wurde oft verschwiegen. Was niemand zu hoffen wagte traf dennoch ein, denn jeder sah die Notwendigkeit eines einheitlichen Namensystems ein und alle Organisationen sagten ihre Mitwirkung daran zu.

 

Etwa ein Jahr später fragte mich Inte Onsman ob ich nicht bei MUTAVI mitarbeiten möchte. Ich kann nicht sagen, dass ich sofort zugesagt habe. Ich war zwar bestens geschult bezüglich der verschiedensten Genetik-Kurse, aber über Federn und Pigmente war mir nicht viel mehr als das Grundwissen bekannt. Dennoch ließ ich mir überzeugen und nahm die Herausforderung an. Inte besorgte mir die nötigen Studienunterlagen (Zentnerweise) und wir begannen zu studieren. Allerdings zeigte sich schnell, dass das erstellte System noch einzelne Fehler enthielt.

 

Noch deutlicher wurde es als 1999 durch den bekanten australischen Tierarzt Terry Martin, die Genetik–Psittacine Diskussionsgruppe im Internet ins Leben gerufen wurde. Der Gedanke war folgender: Informationen über bestehende Mutationen bei Sittich- und Papageienarten auszutauschen. Dies schien jedoch nicht so einfach zu sein, wie wir gedacht hatten. Obwohl wir dachten, nur die englischen Bezeichnungen zu gebrauchen, stellte sich heraus, dass jedes Land, ja sogar jede Region, seine eigenen Bezeichnungen gebrauchte. Obwohl ein großes Interesse daran bestand, die Mutationsbezeichnungen der Wellensittiche zu gebrauchen, sahen wir, dass anderswo wieder völlig unterschiedliche Bezeichnungen auftauchten. Schnell wurde klar, dass die Absprache in der Gruppe nicht stimmte.

 

Da bei MUTAVI schon seit einigen Jahren Untersuchungen durchgeführt wurden wussten wir, dass es sehr viele unterschiedliche Namen gab, aber aus genetischer Sicht bei Psittaciden nur eine begrenzte Anzahl an Mutationen bekannt war.

 

Das Problem war, dass jede Art in ihrer Wildform äußerlich ein unterschiedliches Escheinungsbild hatte, und dementsprechend die betrachteten Mutationen auch unterschiedlich aussahen. Als wir jedoch damit begannen, das Innere der Federn zu untersuchen, kamen wir zu der Erkenntnis, dass bei fast allen Arten die Mutationen auf die gleiche Art entstanden sein muss: Sowohl genetisch gesehen, als auch was die Form der Farbstoffe betrifft. Ein weiteres Problem war, dass viele Mutationskombinationen zu Unrecht als eigenständige Mutationen angesehen wurden und deshalb auch einen eigenen Namen aufgedrückt bekamen. Kurzum, so wie ich früher schon schrieb, ein echter “Turmbau zu Babel”.

 

Da wir also eine stabile Grundlage wollten, war es notwendig eine Richtlinie zu erstellen um die Mutationen richtig zuzuordnen, indem sie unter folgenden Gesichtspunkten miteinander verglichen wurden:

  1. Nach dem Genotyp (Welcher Genort (Lokus) wurde verändert und wie ist die Vererbung?) und
  2. nach der Veränderung der Farbstoffe, und der Federstruktur der Mutationen (Was geschieht genau in der Feder?)

 

Für die Vergabe der Bezeichnungen wurden (und werden noch) die bestehenden Bezeichnungen für Wellensittichmutationen bevorzugt, vorausgesetzt diese Bezeichnungen erfüllen die Richtlinien. Leider mussten wir mehrere Male feststellen, dass man noch zusätzlich Ländernamen in diese Bezeichnungen mit eingearbeitet hat: Dänische Schecken, Holländische Schecken oder Schottische Falben u. s. w. Selbstverständlich waren diese Namen dann nicht richtig und wir mussten uns in solchen Fällen von der vorhandenen wissenschaftlichen Literatur leiten lassen. Schon seit Jahren werden wissenschaftliche Untersuchungen bei Mutationen von Mäusen, Hühnern und Puten gemacht. Sie werden nach der Veränderung der Pigmente klassifiziert und waren für uns eine sehr gute Informationsquelle.

 

Auf diese Art und Weise wurde Schritt für Schritt ein System auf logischer Basis aufgebaut. Ursprünglich war angedacht, dieses System ausschließlich bei der Genetik–Psittacine Gruppe von Terry Martin zu gebrauchen, aber das Schicksal hat es anders gewollt. Die G-P Gruppe vereinte innerhalb kürzester Zeit immer mehr Interessierte unter ihrem Dach und bald wurde von verschiedenen Seiten bekannt, dieses logische System auch in ihrer eigenen Vereinigung zu gebrauchen. Das ging allerdings nicht so einfach. Das die Welt der Vogelzüchter eher altmodisch war wissen und wussten wir schon länger. Unbekanntes war nämlich immer schon unbeliebt. Die ersten Einwände kamen dann auch massiv, ließen aber nach, nachdem man zu verstehen begann, dass es der Vorteil dieses Systems war, endlich für die gleiche Mutation auch die gleiche Bezeichnung zu gebrauchen. Zugegeben, wenn man jahrelang gewohnt ist eine bestimmte Bezeichnung zu gebrauchen ist es schwierig diese plötzlich zu ändern. Aber die neuen Züchter verwirklichten sehr schnell den Vorteil dieses Systems und zumindest für sie war jetzt es deutlich was hier gemeint war. Es hat auch niemand verlangt, dass der Züchterjargon von heute auf morgen verschwindet. Man sollte allerdings nicht vergessen, dass neben den alten Bezeichnungen auch noch eine internationale Bezeichnung gilt, die für internationale Kontakte und bei Anmeldungen zu Ausstellungen gebraucht wird. Vergleichbar mit Dialekt und Hochdeutsch.

 

Wie gehen wir bei der Bestimmung der Namen neuer Mutationen vor?

Vor allem möchten wir klarstellen, dass wir mehr benötigen als nur Federn um zu einem korrekten Ergebnis zu kommen. Wichtig ist zuerst die Frage, ob es überhaupt eine Mutation ist? Mit anderen Worten vererbt diese Form? Wenn das der Fall ist, ist die erste Aufgabe, festzustellen wie der Erbgang verläuft. Meistens dauert es ein paar Generationen bis wir darüber eine 100%ige Sicherheit haben. Dann suchen wir nach spezifischen Merkmalen wie die Farbe der Augen, Füße, Federn u. s. w. Inzwischen können wir anhand der Basisuntersuchungen der Federn schon bestimmen ob es sich um eine Form von Dilutismus, Leucismus oder Albinismus handelt. Bei einer geringen Zahl von Mutationen kann bereits bei den ersten Untersuchungen definitiv bestimmt werden um welche Mutation es sich dabei handelt, leider sind dies die Wenigsten und wir benötigen weitere Informationen. Nebenher ist es auch noch wichtig zusätzlich, zu der Bestimmung des Erbgangs, festzustellen, ob es sich bei der neuen Mutation eventuell um ein Allel einer bereits vorhandenen Mutation handelt. Mit anderen Worten benötigen wir auch diese Zuchtergebnisse. Wenn diese Informationen verfügbar sind können wir in eine gewisse Richtung weiter denken und dadurch bestimmte Mutationen ausschließen. Dann vergleichen wir die Feder-Querschnitte mit bereits identifizierten Mutationen. Wenn wir dabei genügend Übereinstimmungen feststellen ist die Frage manchmal schnell gelöst. Handelt es sich allerdings um eine komplett neue Mutation (wie es der Fall beim BVA war, mit der neuen A. fischeri Mutation von Piet Verhijde) beginnen wir zuerst damit Aufzeichnungen in vorhandener wissenschaftlicher Literatur zu durchsuchen, in der Hoffnung das diese Form bereits beschrieben ist. Das dies sehr lange dauern kann brauche ich das wohl nicht zu erwähnen. Berge wissenschaftlicher Publikationen werden zu diesem Zweck durchstöbert, um nicht von dem Kostenpunkt zu sprechen, der damit verbunden ist, denn viele Veröffentlichungen sind nur gegen Bezahlung erhältlich. Glücklicherweise haben wir gute Kontakte zu verschiedene Universitäten und Untersuchungszentren die uns gerne unterstützen. Ist die Mutation nun ausreichend erkannt und es stellt sich heraus, dass noch kein Name dafür besteht so wird immer zusammen mit ein paar internationalen Fachleuten nach einem geeigneten, wissenschaftlich anwendbaren Namen für diese neue Mutation gesucht. Ist die Ursache der Mutation allerdings nicht ausreichend erkannt worden, dann versuchen wir nach Möglichkeit die Untersuchung mit einen Elektronenmikroskop vorzunehmen. Aber wenn man weiß, das die Untersuchung von ein paar Federn mit diesem Gerät ungefähr 2000 bis 3000 € kostet, versteht man, dass wir selten gebrauch davon machen.

 

Hier ein paar Grundregeln:

 

Terry Martin veröffentlichte folgenden Text auf der Liste, die als

 

Agreed system for naming colour morphs to be used across species of parrots and internationally when discussing genetics

 

“Übereinkommen zur Bezeichnung von Farben bei Psittaciden und bei internationalen genetischen Diskussionen”

veröffentlicht wurde.

 

Diese Liste beinhaltet einige sehr logische Regeln, die mit der Zeit erweitert werden, wenn weitere Abkommen getroffen werden. 

 

Hier folgen die wichtigsten Nomenklatur-Regelungen:

  • Unzertrennliche sollen mit ihrem wissenschaftlichen Namen bezeichnet werden, weil die unterschiedlichsten englischen Bezeichnungen zu verwirrend sind und die meisten Züchter diesen wissenschaftlichen Namen kennen.
  • Die Abkürzungen SF und DF werden gebraucht um zu unterscheiden, ob dominante Mutationen einfaktorig (SF) oder doppelfaktorig (DF) sind.
  • Wenn zwei Typen Inos bekannt sind, z. B.: eine geschlechtsgebundene und eine rezessive, bezeichnen wir diese NSL (Non-Sex-Linked = nicht geschlechtsgebunden) ino für rezessive Inos und SL (Sex-linked = geschlechtsgebunden) ino für geschlechtsgebundene Inos.
  • Bei dominant geschlechtsgebundenen Mutationen gebrauchen wir SL SF und SL DF.
  • Für Kombinationen aus zwei oder mehreren Mutationen in einem Vogel werden keine besonderen Bezeichnungen gebraucht.
  • Kombinationen, die durch Crossing-over entstanden sind werden kenntlich gemacht, indem man die Basismutationen mit einem Bindestrich schreibt. Z. B.: zimt-ino oder opalin-lutino. Das kann man sich leicht merken, weil der Begriff “crossing-over” auch mit Bindestrich geschrieben wird.
  • Kombinationen, die aus multiplen Allelen resultieren werden kenntlich gemacht, indem man beide Namen der Basismutationen ohne Leerzeichen eng zusammen schreibt. Z. B.: PastelIno. Die ersten Buchstaben der Mutationen sind Großbuchstaben: Pastel und Ino.
  • Dunkelfaktoren: Die meisten Länder gebrauchen grün, dunkelgrün und olivgrün, aber einige Länder verwenden andere Bezeichnungen. Für einen Anfänger war es oft schwierig zu verstehen, warum beispielsweise die Bezeichnung mauve für einen blauen Vogel mit zwei Dunkelfaktoren gebräuchlich war. Es erweckte die falsche Annahme, dass es sich hierbei um eine separate Mutation handelt, obwohl es nichts anderes war als die Kombination aus zwei Dunkelfaktoren und blau. Schließlich kam jemand auf die Idee die Dunkelfaktoren dadurch kenntlich zu machen, dass man vor den Namen der Basismutation ein großes D oder DD schreibt: grün, D grün (Dunkelfaktor), DD grün (doppelter Dunkelfaktor). Der Vorteil dieses Systems ist, dass es bei grün, blau und jeder anderen Basismutation gebraucht werden kann.  

Für die Bezeichnung gewisser Genorte (Loci) wurden noch weitere Absprachen getroffen. Bisher wurde festgestellt, was bei einer Federuntersuchung alles berücksichtigt werden muss, bevor man sich sicher sein kann um welche Mutation es sich handelt. Es wurde eine kurze Zusammenstellung der Grundregeln gemacht die man berücksichtigen muss um eine Bezeichnung genau zu formulieren und wie die Mutationskombinationen korrekt benannt werden müssen. Im Weiteren wird darauf eingegangen, welche vereinbarten Voraussetzungen im Bereich der Genetik bestehen, um eine Mutation zu bestimmen. Das ist allerdings etwas umfangreicher:

 

Arten der Vererbung

Eine Grundregel um eine Mutation als eine bestimmte Mutation zuordnen zu können ist das gleiche Mutanten bei allen Arten auch gleich vererben. Die Vererbung geschieht auf verschiedene Arten: Autosomal rezessiv, autosomal Dominant, geschlechtsgebunden (SL - Sex-Linked) rezessiv, geschlechtsgebunden (SL) Dominant und Multifaktoriel (Polygenetisch).

Nur wenn man diese Regeln versteht, kann man an Hand der Bezeichnungen schon ableiten wie eine Mutante vererbt. So weiß man z. B. von der zimt-Mutante, dass diese geschlechtsgebunden vererbt und sich rezessiv gegenüber der Wildfarbe verhält. In der Vergangenheit war es bedauerlicher Weise öfters so, dass bestimmte Bezeichnungen sowohl für autosomal rezessive, autosomal dominante oder geschlechtsgebundene Vererbungen gebraucht wurden. Mit anderen Worten: Noch ein totales Chaos. Das soll mit dem neuen System für immer vermieden werden.

 

Aber dennoch gibt es Ausnahmen: 

Vor allem muss man zuerst wissen dass der komplette Genotyp bei Psittaciden zum überwiegenden Teil untereinander gleich ist. Es gibt allerdings kleine Unterschiede auf den Chromosomen die dafür verantwortlich sind, dass wir verschiedene Arten haben, dabei ist es von besonderer Bedeutung, dass die Anzahl der Chromosomen bei den verschiedenen Psittaciden von Art zu Art verschieden ist. Dennoch enthalten alle diese Chromosomenpaare beinahe alle die gleichen gemeinsamen Gene. Die unterschiedliche Anzahl der Chromosomenpaare sind durch Evolution im Laufe der Zeit entstanden. Einer der wichtigsten Punkte der geschlechtlichen Vermehrung ist, dass die Gene ausgetauscht werden können. Jedes neue Lebewesen erhält auf diese Weise ein einzigartiges Genpaar, das (je Chromosomenpaar) aus einem Chromosom des Vaters und einem der Mutter besteht. Auf diesen Chromsomen finden man zwar immer dieselben Gene, aber diese Gene müssen nicht unbedingt identisch (Homozygot) sein.

 

Während der Bildung der Geschlechtszellen (Gameten) können während der Zellteilung Stücke der Chromosomen verloren gehen (Verlustmutation) oder auf andere Chromosomenpaare übertragen werden (Transmutation) [1]. Meistens sind die Folgen daraus lethal, was jedoch nicht immer zutreffen muss. Obwohl sich innerhalb einer bestimmten Art diese chromsomale Abweichung letztlich (meistens durch Inzucht) in verschiedenen Individuen äußert, kann es sogar innerhalb derselben Art verschiedene Genotypen geben.

 

Ein deutliches Beispiel hierfür ist der Blauflügelsperlingspapagei (Forpus xanthopterygius): Hier wurden bei einer wissenschaftlichen Untersuchung im Jahre 1983 sogar drei verschiedene Genotypen nachgewiesen [2]. Die Untersuchung von 41 Vögeln ergab ein sehr überraschendes Ergebnis. Die meisten Vögel hatten 43 vollwertige Chromosomenpaare beziehungsweise insgesamt 86 Chromosomen. Es wurde ein Weibchen gefunden das von Chromosom Nr.: 5 nur eine Chromosom des Paares besaß. Mit anderen Worten es hatte insgesamt nur 85 Chromosomen. Schließlich fehlte einem Männchen das Chromosom Nr.: 5 völlig. Dieser Vogel hatte demzufolge nur 84 Chromosomen. Äußerlich war allerdings kein Unterschied zwischen diesen verschiedenen Genotypen festzustellen. Diese unterschiedliche Chromosomenzahl innerhalb derselben Art wurde bei Vögeln außerdem noch viermal wissenschaftlich nachgewiesen: Beim Haushuhn (Gallus domestica) [3], beim Kuhreiher (Bubulcus ibis) [4], beim Muskatfink (Lonchura punctulata) [5] und beim Schwarzkopfpirol (Oriolus xanthornus) [6].

 

Es ist gut zu wissen, dass sich trotz diesem Unterschied bei den Chromosomenpaaren letztlich dennoch diese Arten im Laufe der Zeit als einzelne Art entwickeln konnten obwohl der Austausch dieser Gene nicht mehr möglich war. Aber wir sprechen wahrscheinlich über tausende von Generationen.

 

Wie ist das möglich? 

Nicht alle DNA (Gene), die wir auf den Chromosomen vorfinden, wird tatsächlich gebraucht. Gewisse Teile der DNA (Desoxyribonukleinsäure) haben eigentlich keine besondere Funktion. Aus der DNA werden Aminosäuren gebildet, die bestimmte Eiweiße bilden. Das bezeichnet man als Eiweißsynthese. Während dieser Eiweißsynthese sorgt RNA (Ribonukleinsäure) dafür, dass DNA in Animosäuren umgewandelt wird. Während dieses Prozesses erkennt man, dass nicht alle DNA-Teile kodiert werden. Es werden bestimmte Teile des Gens entfernt und mit den übrig gebliebenen Teilen RNA (Exons genannt) werden die Animosäuren und letztendlich die nötigen Eiweiße gebildet. Und man weiß, dass es genau diese Eiweiße sind, die das komplette Erscheinungsbild und die Eigenschaften eines Lebewesens bestimmen. Es ist deshalb nicht immer von Bedeutung, ob ein bestimmtes Gen beispielsweise auf Chromosom Nr. 5 oder auf Chromosom Nr. 7 liegt. Wichtig ist aber, dass dieses Genpaar vorhanden ist und dass Dank dessen Anwesenheit die Bildung der nötigen Animosäuren ausgelöst werden können.

Deshalb können viele Arten, selbst mit einer unterschiedlichen Anzahl an Chromosomenpaaren, ganz typische gemeinsame Eigenschaften besitzen. Papageienarten haben alle einen krummen Schnabel, Finkenarten haben einen geraden Schnabel, aber bei jeder Art, ob es nun Finken oder Papageien sind, hat jede Art seinen einzigartigen Genotyp. Deshalb besitzt jede Art seine einzigartige genetische Zusammenstellung, obwohl die meisten notwendigen Gene bei jeder Art vorhanden sind. Ob Genortveränderungen (Translokationen) vorliegen und diese Mutationen auf den Autosomen (nicht Geschlechtschromosomen) liegen werden wir oft nicht bemerken. Denn ob sich die Mutation nun auf Chromosom 7 oder 10 befindet, alle vererben trotzdem autosomal.

 

Verwirrender kann es werden, wenn typische Mutationen (Eigenschaften) die normalerweise auf einem Autosom liegen, plötzlich auf dem Geschlechtschromosom erscheinen und sich dann auch noch dominant aufführen. Ein tatsächliches Beispiel dafür ist höchstwahrscheinlich die SL (geschlechtsgebunden) dominante Mutation die vor einigen Jahren beim Katharinasittich (Bolborhynhus I. lineola) entstanden ist. Den Eindruck, den wir anhand der Federanalysen bekamen war eher eine Form von Dilute, als die üblichen tyrosinasebeeinflußenden Mutationen die man üblicherweise auf dem Z-Chromsom antrifft. (Zur Information: Z-Chromosom wird in der wissenschaftlichen Literatur immer für die im Züchterjargon gebräuchliche Bezeichnung für das X- oder Geschlechtschromosom, wie es bei Säugetieren und Menschen beschrieben wird, gebraucht. Der Unterschied wird von Wissenschaftlern gemacht, weil man der Annahme ist, dass die Geschlechtschromosomen beim Vogel im Laufe der Evolution aus einem anderen Chromosomenpaar entstanden sind.) Dabei unterstellen wir, dass das Gen, das verantwortlich ist für die Bildung des Enzyms Myosin V, durch Genortveränderung (Translokation) auf das Geschlechtschromosom gewandert ist. In diesem speziellen Fall wird der Name Grauflügel beibehalten (Genau wie das autosomal rezessive Gegenstück), aber um den Unterschied hervorzuheben wird diese Mutation als SL (Sex-Linked oder geschlechtsgebunden) EF oder DF (Ein- oder Doppelfaktorig) Grauflügel genannt (SL EF oder DF Grauflügel). Die Kürzel EF und DF zeigen deutlich an das diese Form dominant vererbt. SL gibt an, dass diese Mutation sich auf dem Geschlechtschromosom befindet. Warum diese Mutante sich dominant verhält, kann mit der Tatsache zu tun haben, dass das Gen “INVERSE” oder umgekehrt eingebunden wurde, oder aber dass ein Stückchen verloren gegangen ist. Glücklicherweise sind solche Fälle sehr außergewöhnlich.

 

Weiterhin ist es auch möglich, dass bestimmte Phänotypen durch verschiedene Mutationen entstehen können oder dass bestimmte Prozesse durch verschiedene Genorte (loci) beeinflusst werden können. So unterscheiden wir beispielsweise mehrere Genorte (loci) die an der Synthese der Eumelanine beteiligt sind.

 

        

  • SL ino-Genort = Produktion von melanosomalen Matrixen, kontrolliert die Anzahl und die Größe der Eumelanine.

  

  • a-locus = Tyrosinase negativ (Kodiert für Tyrosinase) und regelt den Farbprozess der Eumelanine bis schwarz.

 

  • cin-locus = TRP1 (Tyrosinase Related Protein, ist nötig um Eumelanine schwarz zu färben)

 

  • b-locus Braun-locus = TRP2 (Tyrosinase Related Protein, ist auch nötig um Eumelanine schwarz zu machen, ist aber dann auf einem Autosom zu finden). Dieses Gen kodiert für Dopachrome tautomerase. (516 Animosäuren, 1548 Basen)

 

Es sind also vier Gene die auf die fertigen Eumelanine Einfluss nehmen können. Wenn man aufmerksam hinsieht erkennt man das eine geschlechtsgebundene Mutante für TRP1 kodiert, oder den Zimt-Genort. Wenn dieses Gen einmal mutiert ist, sorgt diese Mutation dafür, dass nur noch braune Eumelanine in den Federn zu finden sind. Der TRP2-Genort, oder der braun-Genort sorgt, einmal mutiert, ebenfalls dafür, dass nur braune Eumelanine synthetisiert werden, aber dieser Genort ist völlig verschieden zu dem Zimt-Genort. Der eine sitzt ganz normal auf dem Geschlechtschromosom, der andere allerdings auf einem Autosom. Das Ergebnis ist visuell das gleiche: Braune Eumelanine in den Federn, aber weil beide Mutanten in diesen Fall unterschiedliche Ursachen haben, ist es nötig einen anderen Namen zu bestimmen und deshalb sprechen wir von Zimt und von Braun Mutanten.

Wie man sieht ist das nicht immer gerade einfach. Ideal wäre es, wenn von jeder Art alle Chromosomen komplett entschlüsselt wären. Technisch ist sicherlich alles möglich, das Problem ist nur die Kostenfrage: Etwa 25.000 € pro Chromosom. Daran sieht man, dass diese Untersuchungen vorläufig noch Utopie sind. Man wird sich deshalb weiterhin mit der bereits verfügbaren wissenschaftlichen Literatur behelfen müssen.

Aber glücklicherweise verraten zielgerichtete Probeverpaarungen meistens nach einiger Zeit welcher Genort letztlich an der entsprechenden Mutation beteiligt ist und man kann Vergleiche mit bereits bekannten Mutationen anderer Arten anstellen und so einen Namen bestimmen.

 

Von großer Wichtigkeit ist es weiterhin diese Mutanten in jeder Sprache zu erkennen. Dafür haben wir neben den internationalen Bezeichnungen auch unsere genetischen Symbole. Diese Symbole sollen so konzipiert sein, dass jeder, selbst wenn er die Mutante nicht kennt, beim einfachen hinsehen erkennt, ob die Mutante geschlechtsgebunden oder autosomal vererbt. Verhält sich die Mutante dominant oder rezessiv? Ist sie ein Allel eines bekannten Genortes usw.?

Deswegen wurde für jede bestehende Mutation ein genetisches Symbol entwickelt. Diese Liste wurde bei MUTAVI erstellt und basiert auf einem bestehenden wissenschaftlichen Fundament. So werden sowohl auf internationaler als auch auf wissenschaftlicher Ebene gewisse Absprachen getroffen.

  

Auflistung dieser Absprachen:

 

  • Der Name einer Mutation wird im Text immer mit einem kleinen Anfangsbuchstaben geschrieben, wie z.B.: dominant gescheckt, opalin, türkis usw., außer am Anfang eines Satzes oder an einer Stelle an der ein Großbuchstabe gebräuchlich ist.
  • Das Genortsymbol (Locus symbol) muss nach Möglichkeit mit dem ersten Buchstaben des englischen Namens der Mutation übereinstimmen und muss vom Namen des Gens abgeleitet sein. Das Genortsymbol darf maximal aus drei Buchstaben (oder Ziffern) bestehen, die so gewählt werden, dass ein deutlicher Unterschied zu anderen Symbolen entsteht. Slt für slaty, op für opalin usw.
  • Das Genortsymbol wird mit einem Großbuchstaben geschrieben wenn der Faktor dominant vererbt, und mit einem kleinen Buchstaben wenn der Faktor rezessiv vererbt. z.B.: V für violett, pf für pale falbe usw.
  • Symbole für Allele dürfen mit Großbuchstaben, kleinen Buchstaben oder arabischen Ziffern geschrieben werden. Das Allelsymbol wird hochgestellt geschrieben unmittelbar hinter dem Genortsymbol. Wenn hinter dem Genortsymbol ein hochgestelltes “+” geschrieben wird steht das für ein unmutiertes Gen.
  • Allelsymbole dürfen nicht gebraucht werden um zwischen dominanter und rezessiver Vererbung zu unterscheiden.
  • Gekoppelte Gene werden mit einem “_” (Unterstrich) verbunden oder in Formeln mit einem durchlaufenden Bruchstrich.
  • Bei Agaporniden werden grüne Vögel (bl+_D+ / bl+_D+) als Wildform betrachtet. Man sieht hierbei, dass D bzw. der Dunkelfaktor an den blau–Genort gekoppelt ist.
  • Genotypen müssen stets in Schrägschrift (kursiv) geschrieben werden. Ein Schrägstrich zwischen den Allelen macht das lesen der Genotypen einfacher. Z. B.: bl+ / bltq ; Pi / Pi+ oder dil / dil+. Ein Semikolon ’’;’’ deutet die verschiedenen Chromosomen an.
  • Allele eines Gens werden hochgestellt geschrieben, z. B.: bltq, aber weil die hochgestellt Schrift in einer E-Mail nicht geschrieben werden kann, verwendet man ein Sternchen (*) um das hervorzuheben. Das Genortsymbol wird dann durch ein Sternchen von dem Allelsymbol getrennt. Zuerst wird also das Genortsymbol geschrieben, beispielsweise ino und wenn das Allel mutiert ist, beispielsweise zu pallid, dann wird es wie folgt geschrieben: ino*pd .
  • Spalterbige Vögel werden immer geschrieben indem man einen Schrägstrich (/) zwischen die Mutanten setzt, beispielsweise: grün/blau. Der Name hinter dem / ist der Faktor den der Vogel vererbt, also worin er spalterbig ist.

 

Man sieht, es müssen mehrere Fakten berücksichtigt werden, um den exakten Namen einer Mutante zu bestimmen. Wenn diese Bestimmung korrekt durchgeführt wird, sollte im Laufe der Zeit eigentlich alles viel einfacher werden. Aber wie man sicherlich denken kann, gibt es hier noch sehr viel Arbeit. Es wurde auch noch nicht darüber gesprochen wie man handeln muss wenn Arten auftauchen, die abweichende Federstrukturen haben. Glücklicherweise trifft das allerdings nur für wenige Psittaciden zu.

 

 

 

Quellennachweis:

 

[1] Gibson L.J.,1984 - Chromosomal changes in mammalian. 11(2), pp. 67-89

[2] De Lucca E.J. and De Marco D.A., 1983 - Chromosomal dymorphism in Forpus xanthoperygius

[3] Ryan and Bernier, 1968 - Cytological evidence for spontaneous chromosome translocation in the domestic fowl. Experientia, 24, pp. 623-624

[4] Mistra and Srivastava M.D.L., Somatic chromosomes of Bubulcus ibis: a case of reciprocal translation. Genetica, 46 pp. 155-160

[5] Ansari H.A. and Kaul D., 1978 – Translocation heterozigosity in the bird Lonchura changes in mammalian

[6] Ansari H.A. and Kaul D., 1979bSomatic chromosomes of black headed oriole, a probable case of translocation heterozogosity. Experientia 35 pp. 740-741